(auch als ausdruckbare Broschüre, als PDF zur Ansicht auf dem Bildschirm Ihres Computers, padBook, kindle-Version und phoneBook erhältlich)
Ein Vorhofseptumdefekt ist eine Öffnung in der Trennwand zwischen den beiden Vorkammern des Herzens (= Vorhofseptum). Es handelt sich um einen angeborenen Herzfehler.
Der Vorhofseptumdefekt ist ein ausschließlich angeborener Herzfehler; man kann ihn im Laufe des Lebens (außer als Folge bestimmter Eingriffe am Herzen) nicht erwerben. Ich versuche im Folgenden, die Entwicklung des Herzens mit der Bildung des Vorhofseptums kurz zu beschreiben. Wenn Sie sich für detailliertere Informationen interessieren verweise ich auf das eBook über die embryonale Entwicklung des Herzens, das allerdings primär für Ärzte geschrieben wurde.
Während der Entwicklung des Kindes und seines Herzens im Mutterleib muß etwas passieren, das die gesunde und vollständige Entwicklung der Trennwand zwischen den beiden Vorkammern verhindert. Dies führt dann dazu, daß sich diese Trennwand nicht schließt und der Vorhofseptumdefekt entsteht.
Dazu muß man etwas über die Entwicklungsgeschichte des Herzens und die Kreislaufverhältnisse vor und nach der Geburt wissen:
Abb. 1 |
Abb. 2 |
Das Herz entwickelt sich während der ersten 8 Wochen der menschlichen Entstehung im Mutterleib. Es ist zunächst ein lang gezogener Schlauch, der sich in einem komplizierten Prozeß mit zunehmendem Entwicklungsstand windet, dreht und faltet (Abb. 1) und in dessen Innerem sich schließlich Trennwände entwickeln, die den rechten Teil vom linken Teil des Herzens trennen. Der rechte Teil des Herzens ist für die Durchblutung der Lungen verantwortlich („kleiner“ Kreislauf), der linke Teil für die Durchblutung der Organe des Körpers („großer“ Kreislauf) (Abb. 2).
Abb. 3 Entwicklung des Septum primum mit Ostium primum und Ostium secundum |
Während der Entwicklung des Menschen im Mutterleib wird die Lunge noch nicht benötigt, denn das Kind bekommt seinen Sauerstoff und die anderen benötigten Nährstoffe über die Plazenta (Mutterkuchen) von der Mutter. Aus diesem Grund müssen während dieser Zeit im Mutterleib die Lungen des Kindes auch noch nicht durchblutet werden. Das Blut wird daher sozusagen an der Lunge vorbei geleitet. Hierzu dienen Löcher im Vorhofseptum:
Das Vorhofseptum selbst entsteht aus einem Wulst (Abb. 3), der vom Dach der Vorkammern in Richtung auf ihren Boden vorwachsen und hier den Boden treffen und mit ihm verwachsen (Septum primum). Lediglich in einem kleinen Teil verschmilzt dieses Septum primum zunächst nicht mit dem Boden der Vorkammer, sodaß ein kleines Loch verbleibt. Dieses Loch nennt man „Ostium primum“.
Mit dem weiteren Fortschreiten der Entwicklung schließt sich dieses Loch. Gleichzeitig entsteht aber weiter oben, kurz unter dem Dach der Vorkammern eine neue Öffnung („Ostium secundum“) (Abb. 3 Mitte). Sie wird dadurch gebildet, daß gezielt an der Stelle dieser Öffnung und aus Gründen, die niemand genau kennt Gewebe zugrunde geht und sich auflöst. Zunächst durch das Ostium primum und nach dessen Verschluß durch das Ostium secundum fließt das Blut an den Lungen vorbei direkt wieder zurück in den Kreislauf und umgeht auf diese Weise die Lungen, die während des Lebens im Mutterleib nicht erforderlich sind; das Kind atmet ja noch keine Luft und erhält seinen gesamten Sauerstoff durch das Blut der Mutter. Sie sehen diese Strömungsverhältnisse des Kindes im Mutterleib in Abb. 4.
Abb. 4 RA = rechte Vorkammer, RV = rechte Hauptkammer, LA = linke Vorkammer, LV = linke Hauptkammer, PA = Lungenarterie, Ductus BOTALLI = Verbindung zwischen Aorta (Hauptschlagader) und Lungenarterie |
Abb. 5 Entwicklung des Vorhofseptums blau = Septum primum mit Ostium secundum grün = Septum secundum | Abb. 6 |
Gleichzeitig mit der Entwicklung des Septum primum mit seinen Löchern bildet sich, vom Dach der Vorkammer ausgehend ein feiner Gewebslappen, der (ähnlich wie das Vorhofseptum) auf der rechten Seite des Septums ebenfalls in Richtung auf den Boden der Vorkammer vorwächst (Septum secundum) (Abb. 5).
Dieser Gewebslappen verwächst allerdings weder mit dem Vorhofseptum noch mit dem Boden der rechten Vorkammer. Er dient vielmehr als Ventil, den das Durchströmen des Blutes vom rechten in den linken Vorhof, nicht aber das Durchströmen von links nach rechts erlaubt (Abb. 6).
Dieses Ventil ist von großer Bedeutung, weil es dem Blut des Kindes, das noch im Mutterleib lebt erlaubt, an den Lungen vorbei direkt in den großen Kreislauf zu gelangen. Wenn das Kind mit der Geburt allerdings seinen ersten Atemzug tätigt wird die Lunge lebensnotwendig, weil das Kind nun selber Sauerstoff aufnehmen muß und nicht mehr von seiner Mutter versorgt wird. Die Folge ist, daß das Ventil nun geschlossen wird.
Abb. 7 RA = rechte Vorkammer, RV = rechte Hauptkammer, LA = linke Vorkammer, LV = linke Hauptkammer, PA = Lungenarterie, Ductus BOTALLI = Verbindung zwischen Aorta (Hauptschlagader) und Lungenarterie |
Film 1 |
Der Kreislauf eines Babys stellt sich bei der Geburt radikal um: Das sauerstoffarme, verbrauchte, dunkle Blut aus dem Körper fließt ebenso wie vor der Geburt zurück zum Herzen und gelangt aus den beiden Hohlvenen in die rechte Vorkammer des Herzens. Durch den Verschluß des Ostium secundum wird es nun allerdings dazu gezwungen, die Tricuspidalklappe zu durchströmen (Abb. 7). Es gelangt in die rechte Hauptkammer und von hier aus durch die Pulmonalklappe in die Lungenschlagader und in die Lungen. Hier wird es wieder mit frischem Sauerstoff aufgeladen und kehrt nun frisch, sauerstoffreich und hellrot zum Herzen zurück. Es gelangt in die linke Vorkammer, durch die Mitralklappe in die linke Hauptkammer und wird von dort durch die Aortenklappe in die Hauptschlagader gepumpt, von wo aus es in jedes Organ fließt und den Körper dadurch mit frischem Blut versorgt (Film 1).
Film 2 |
Während seiner Entwicklung im Mutterleib ist eine Verbindung zwischen den beiden Vorkammern (zusammen mit dem Ductus BOTALLI) also ein normaler und sogar dringend benötigter Bestandteil des kindlichen Kreislaufes (Film 2). (In diesem Film wird der gesamte Kreislauf vor der Geburt dargestellt. Auf die Verbindungen zwischen Mutterkuchen (Plazenta) und dem Kreislauf und auf den Ductus BOTALLI wird in dieser Broschüre nicht eingegangen; lesen Sie hierzu (bei Interesse) das eBook über die Embryologie des Herzens)
Der dünne Ventil-Gewebelappen des Septum secundum wächst bei den meisten Menschen in den Wochen und Monaten nach der Geburt am Vorhofseptum fest, was zu einem stabilen Verschluß des Loches führt. Bleibt diese Verbindung jedoch auch nach der Geburt offen entsteht ein Problem, das man Vorhofseptumdefekt nennt: Es gelangt nämlich frisches Blut, das aus der Lunge in den linken Vorhof geströmt ist durch das Loch in der Trennwand der Vorhöfe wieder in den rechten Vorhof zurück und mischt sich hier mit dem verbrauchten Blut, das gerade aus dem Körper angekommen und auf dem Weg zu den Lungen ist. Hierdurch werden bestimmte Teile des Herzens und die Lungengefäße doppelt belastet, weil nicht nur das Blut in die Lungen gepumpt werden muß, um dort mit Sauerstoff aufgetankt zu werden, sondern unnötigerweise auch noch das Blut gepumpt werden muß, das diesen Weg gerade hinter sich (Abb. 8, Film 3). Und diese Belastung verursacht dann die eigentlichen Probleme.
Abb. 8 |
Film 3 |
Abb. 9 |
Wenn es in dieser Entwicklung des Vorhofseptums Störungen gibt entstehen die verschiedenen Formen der Vorhofseptumdefekte, je nachdem, zu welchem Zeitpunkt der Ablauf der Entwicklung gestört wird (z.B. ob das Wachstum des unteren Wulstes gestört ist oder ob sich das ventilartige Gewebsläppchen nicht bildet) (Abb. 9):
Bei einem sog. Secundum-Defekt befindet sich das Loch mehr oder weniger in der Mitte des Vorhofseptums. Es handelt sich um die häufigste Form des Vorhofseptumdefektes (sog. Secundum-Typ.
Daneben gibt es aber noch kompliziertere Formen, wie den Primumdefekt, bei dem das Loch mehr in den unteren Anteilen des Septums, in der Nähe der Mitral- und Tricuspidalklappe liegt und bei dem in der Regel auch ein Defekt der Mitralklappe vorliegt (Das vordere Mitralsegel ist unterschiedlich tief gespalten, was zur Undichtigkeit der Klappe führt); Partieller av-Kanal, bei dem sich die Spaltbildung auch auf die oberen Teile des Kammerseptums fortsetzt. Weil es sich hierbei um eher seltene angeborene Fehler handelt soll an dieser Stelle nicht weiter darauf eingegangen werden. Interessierte sei auf ein eBook hingewiesen, das sich mit der Herzkatheteruntersuchung verschiedener angeborener Herzfehler mit und ohne Kurzschlußverbindung beschäftigt.
Vorhofseptumdefekte treten bei 10 – 15% aller Kinder auf, die mit angeborenen Herzfehlern auf die Welt kommen.
Aus Gründen, die niemand kennt sind Mädchen doppelt so häufig betroffen wie Jungen.
Einige angeborene Herzfehler werden vererbt, d.h. von den Eltern auf die Kinder weitergegeben, wobei dies durch Defekte der Gene (der Erbmasse), durch Abnormitäten der Chromosomen (= Träger der Erbinformation) oder durch äußere Einwirkungen (z.B. radioaktive Strahlung, bestimmte Medikamente oder andere Umweltgifte) verursacht wird. Eine solche Vererbung führt dazu, daß bestimmte Herzfehler in einzelnen Familien gehäuft auftreten.
Der Vorhofseptumdefekt hingegen tritt zufällig, d.h. sporadisch auf, eine erbliche Veranlagung ist nicht bekannt. Überhaupt wissen wir bis heute nicht, was diesen Herzfehler verursacht.
Ein Vorhofseptumdefekt kann Herz- und Lungenprobleme verursachen, wenn er nicht rechtzeitig „repariert“ wird:
Weil Blut durch den Septumdefekt vom linken in den rechten Vorhof gelangt und dadurch ein zweites Mal durch die Lungen gepumpt werden muß kommt es zu einer gesteigerten Arbeitsbelastung des rechten Herzens, das das Blut ja schließlich durch die Lungen pumpen muß.
Normalerweise fließt durch den „großen“ Körperkreislauf, der alle Organe (z.B. Nieren, Gehirn, Darm, Muskulatur) mit Blut versorgt ebenso viel Blut wie durch den sog. „kleinen“ Lungenkreislauf. Wenn durch den Defekt aber Blut vom großen in den kleinen Kreislauf fließt ist die Blutmenge im kleinen Kreislauf größer als im großen Kreislauf. Diejenige Blutmenge, die durch den Defekt hindurchströmt bezeichnet man als „Kurzschlußblut“ oder (englisch) „Shunt-Blut“.
Weil das Blut im Fall des Vorhofseptumdefektes von der linken in die rechte Vorkammer fließt spricht man von einem „Links- rechts-Shunt“.
Durch den vermehrten Blutfluß in den Lungengefäßen kommt es zu einem Anstieg des Blutdruckes in diesen Gefäßen, was zu deren Schädigung führt. Die Lungengefäße verhärten und verengen sich als Reaktion auf den gesteigerten Blutfluß. Dies führt schließlich zu einer Krankheit, die „pulmonale Hypertonie“ (= Bluthochdruck in den Lungenarterien) genannt wird und die unweigerlich zum Tode führt, weil das rechte Herz am Ende keine Kraft mehr hat, das Blut durch diese verhärteten und verengten Lungenschlagadern zu pumpen (= Versagen des rechten Herzens) und daher schließlich nicht mehr genügend Sauerstoff aufgenommen werden kann.
Kleine Löcher im Vorhofseptum führen dazu, daß nur eine geringe Menge Blut hindurchfließen kann. Die Belastung des Herzens und der Lungengefäße auf solche kleinen Vorhofseptumdefekte ist nur ganz gering und verursacht auch auf Dauer keine Probleme. Große Löcher hingegen führen zu dem oben beschriebenen Ablauf, denn durch große Löcher kann viel Blut fließen und Herz und Lungengefäße belasten.
Herz und Lungengefäße können mit einer solchen Belastung eine Weile fertig werden, aber wenn der Defekt eine gewisse Größe (siehe unten) hat entstehen Schäden, die dann später auch durch Behandlungen jedweder Art nicht wieder repariert werden können. Es ist daher wichtig, den Defekt frühzeitig zu erkennen und seine Größe frühzeitig zu untersuchen, um entscheiden zu können, ob es im weiteren Verlauf des Lebens zu solchen Schäden kommen wird oder nicht:
Ist der Defekt klein hat er auf die Überlebenszeit der Betroffenen keine direkten Auswirkungen (es gibt dennoch Komplikationen, über die später berichtet wird). Menschen mit solchen kleinen Defekten können 60, 70 Jahre oder noch älter werden. Ist der Defekt jedoch groß ist die Überlebenszeit der Betroffenen teilweise dramatisch verkürzt, viele Menschen mit Schädigungen der Lungengefäße werden nicht älter als 35 – 40 Jahre. Viele dieser Menschen werden dabei bis zum 20. Lebensjahr keinerlei oder nur wenig Beschwerden haben, das Problem beginnt erst zu diesem Zeitpunkt und für eine Operation (oder welche Behandlung auch immer) ist es dann meistens zu spät. Selbst wenn es nicht zum Auftreten der pulmonalen Hypertonie kommt kann ein Vorhofseptumdefekt zu anderen Komplikationen führen:
In der Regel handelt es sich um Vorhofflimmern (seltener um Vorhofflattern). (Genaueres über diese Rhythmusstörung können Sie in der Broschüre über „Herzrhythmusstörungen“ und „Vorhofflimmern“ nachlesen).
Die Betroffenen bemerken diese Herzrhythmusstörung meistens an einer deutlich nachlassenden körperlichen Belastbarkeit und unruhigem Herzschlag.
Vorhofflimmern kann in vielen Fällen zur Bildung von Blutgerinnseln in der linken Vorkammer kommen. Diese Gerinnsel können sich lösen, vom Blutstrom mitgerissen und zufällig in irgendein Organ gespült werden; dies nennt man eine „Embolie“.
Hier verstopft es mehr oder weniger große Teile des Gewebes dieses Organs, was dann entsprechende Schäden verursacht. Schwimmt das Gerinnsel z.B. ins Gehirn entsteht eine Hirnembolie mit den Symptomen eines Schlaganfalls.
Um solche Embolien zu verhindern muß eine Behandlung mit Blutgerinnungshemmern (z.B. Marcumar) eingeleitet werden.
Wenn die Mitralklappe betroffen ist (beim Primumdefekt) besteht die Gefahr von Entzündungen an dieser Klappe, die zu ihrer völligen Zerstörung führen kann. Daher ist es in diesen Fällen erforderlich, eine Endokarditisprophylaxe zu betreiben.
Aus Gründen, die niemand genau kennt haben Kinder mit Vorhofseptumdefekten häufiger eitrige Gehirnentzündungen als Menschen ohne einen solchen Defekt.
Durch das Loch in der Vorhoftrennwand können kleine Blutgerinnsel aus dem Becken oder den Beinen in den linken Vorhof und von hier aus in die Organe des Körpers, z.B. das Gehirn gelangen und hier zu Komplikationen (z.B. Schlaganfall) führen (normalerweise, bei geschlossenem Septum würden diese Gerinnsel in die Lunge gelangen) (Abb. 10).
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Ende der Leseprobe