Eine 37 Jahre alte Frau stellt sich in der Notfall-Ambulanz vor, weil sie das Gefühl hat, daß ihr Herz dauernd schnell schlüge und daß Stolperschläge aufträten. Sie kennt solche Episoden seit Jahren, wobei diese „Anfälle“ aber stets nur kurz andauerten und nach wenigen Minuten spontan endeten. Die jetzige Attacke trat auf, als sie mit ihren Freundinnen im Schwimmbad um die Wette schwamm. Anders als sonst endete diese Attacke jetzt aber nicht spontan. Sie fühlt sich auf einmal kraftlos und hatte das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden. Daraufhin verließt sie das Schwimmbad sofort und kam schnell in die Ambulanz. Die Frau wirkte blaß und schweißgebadet. Sie hatte Luftnot und erschien lethargisch. Der Puls war schwach und schnell (250 / min), der Blutdruck 80/45 mm Hg.
Das sofort geschriebene EKG (Abb. 1) zeigte eine Arrhythmie, die wie eine ventrikuläre Tachykardie (VT) mit einer Frequenz von 224 / min wirkte. Die Kammeraktionen waren unregelmäßig.
Eine sofort durchgeführte Kardioversion war erfolgreich, nachfolgend schlug ihr Herz wieder im Sinusrhythmus mit 58 / min. Die Lethargie verschwand, sie wurde schnell wieder ansprechbar und ihre Vitalzeichen normalisierten sich.
In Abb. 2 sehen Sie das EKG nach der Kardioversion. An welcher Krankheit leidet die Frau und wie wird sie behandelt? Warum wirkte das initiale EKG wie eine ventrikuläre Tachykardie? (Hinweis: Es handelt sich nicht um eine VT!).
Die Frau leidet an einem WPW-Syndrom.
Das WPW-Syndrom ist ein klassisches Präexzitationssyndrom, das durch eine akzessorische Bahn (z.B. ein KENT-Bündel) zwischen Vorhöfen und Ventrikeln entsteht.
Bei einer solchen akzessorischen Bahn umgehen die aus den Vorhöfen stammenden elektrischen Impulse den av-Knoten und alle elektrischen Leitungsbahnen der Ventrikel, sodaß es zu einer vorzeitigen Erregung mehr oder weniger großer Anteile des ventrikulären Myokards kommt. Gleichzeitig wird ein anderer Teil des ventrikulären Myokards über die normalen Erregungsleitungsbahnen erregt; die Ventrikel werden also sozusagen über konkurrierende Wege erregt.
Die Folge ist eine sog. delta-Welle im EKG im Anfangsteil des QRS-Komplexes. Die delta-Welle repräsentiert dabei das vorzeitig erregte ventrikuläre Myokard, der eigentliche QRS-Komplex wird durch dasjenige Myokard erzeugt, das durch av-Knoten und die normalen Leitungsbahnen erregt wird.
Durch die delta-Welle erscheint der QRS-Komplex breiter als normal und die PQ-Zeit ist verkürzt. Das typische Bild eines solchen EKG sehen Sie in Abb. 2.
WPW- und LONG-GANONG-LEVINE-Syndrom (LGL) sind 2 Formen der Präexzitationssyndrome. Sie treten in 0.1 - 0.3% in der Normalbevölkerung auf.
Dem LGL-Syndrom liegt eine akzessorische Bahn (JAMES-Faser) zugrunde, die die Vorhöfe direkt mit dem HIS-Bündel verbindet. Das EKG zeigt in diesen Fällen lediglich eine verkürzte PQ-Zeit (üblicherweise kürzer als 0.12 sec) ohne delta-Welle und mit normalem QRS-Komplex. Beide Erkrankungen können mit paroxysmalen Tachyarrhythmien (meistens paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie und Vorhofflimmern) verbunden sein. Dabei gibt es 2 Möglichkeiten für den Verlauf der elektrischen Impulse bei solchen Tachykardien:
Bei ca. 80% aller WPW-Patienten kommt es zu Tachykardien, 15 - 30% haben Vorhofflimmern und ca. 5% Vorhofflattern. Ventrikuläre Tachykardien sind eher selten, obwohl das EKG infolge einer WPW-bedingten aberierenden Leitung wie eine VT aussehen kann (siehe Abb. 1) und zum Kammerflimmern führen kann.
Generell gilt für die Behandlung im Akutfall:
Schmalkomplextachykardie: Zunächst sollten vagale Manöver (VALSALVA-Manöver) versucht werden, was in 75% der Fälle erfolgreich ist. (Einfacher Trick für ein effektives VALSALVA-Manöver: Patienten in 20 ml-Spritze blasen lassen bis sich der Stempel bewegt.)
Gelingt dies nicht kann Adenosin injiziert werden (in eskalierender Dosis 6 - 12 - 18 mg, schnell (!) gespritzt). Dies führt in etwa 80 - 90% der Fälle zur Konversion in Sinusrhythmus.
In Ausnahmefällen können auch Verapamil und Diltiazem intravenös gegeben werden.
Eine medikamentöse Akuttherapie darf nur durchgeführt, wenn die Möglichkeit zur sofortigen Kardioversion bzw. Defibrillation besteht.
Breikomplextachykardie: Diese Patienten sind meistens hämodynamisch instabil und bedürfen daher in der Regel einer Kardioversion.
Alternativ könnte, falls dies klinisch vertretbar ist, auch Flecainid oder Propafenon intravenös gegeben werden. Dies ist allerdings immer dann, wenn eine strukturelle Herzerkrankung oder eine deutlich eingeschränkte LV-Pumpfunktion vorliegt nicht erlaubt.
Weil die Ätiologie einer Breitkomplextachykardie in der Akutsituation oft nicht klar ist gilt grundsätzlich, daß av-blockierende Substanzen (z.B. Adenosin, Digitalis, Verapamil, Diltiazem, Verapamil und ß-Blocker) nicht eingesetzt werden sollte, da sie die Leitungsgeschwindigkeit über die akzessorische Bahn und damit die Frequenz der Tachykardie beschleunigen können, sodaß sie in Kammerflimmern degenerieren können.
Bei ätiologisch unklarer Breitkomplextachykardie sollte man sicherheitshalber immer vom Vorliegen einer ventrikulären Tachykardie ausgehen und entsprechend behandeln.
Vorhofflimmern: Medikamente, die üblicherweise zur Frequenzverlangsamung des Vorhofflimmern eingesetzt werden sind bei Vorhofflimmern und WPW-Syndrom kontraindiziert, weil sie die av-Überleitung blockieren und über eine Beschleunigung des Erregungsleitung über die akzessorische Bahn die Kammerfrequenz bis hin zum Kammerflimmern bewirken können. Dies gilt sowohl für Schmal- als auch für Breitkomplextachykafrdien.
Einige Patienten mit WPW-Syndrom sind gefährdet, einen plötzlichen Herztod zu sterben. Dies betrifft vor allem solche Menschen mit schnellen Rhythmen infolge kurzer Refraktärzeiten der akzessorischen Bahn.
In diesen Fällen ist außerhalb der Akutsituation eine elektrophysiologische Untersuchung und eine Katheter-Ablation indiziert, die die Patienten heilen kann. Eine solche elektrophysiologische Behandlung kann auch bei Patienten mit symptomatischen supraventrikulären Tachykardien indiziert sein. Bei Patienten, die eine solche invasive Therapie ablehnen können Amiodarone, Chinidin oder Sotalol eingesetzt werden.
Andere Patienten ohne beunruhigende Symptome (z.B. Synkope, symptomatische Tachykardien, Breitkomplextachykardien ohne feststellbare Ursache, Patienten ohne strukturelle Herzerkrankung, WPW-Patienten mit familiärer Belastung mit plötzlichem Herztod, wiederholtes Vorhofflimmern oder -flattern) können symptomatisch behandelt werden.