Ein 42 Jahre alter Mann stellt sich in der Notfall-Ambulanz des Krankenhauses vor, weil er seit 3 Tagen einen dumpfen Brustschmerz präkardial und retrosternal verspürt. Die Schmerzintensität nimmt beim Einatmen und bestimmten Bewegungen zu. Symptome eines zuvor abgelaufenen grippalen Infektes werden verneint. In der Vorgeschichte wurden weder arterielle Hypertonie, koronare Herzkrankheit, vorherige Herzoperationen, Diabetes mellitus und Hyperlipidämie angegeben. Auch seine Familienvorgeschichte ist bezüglich Herz-Kreislauf-Erkrankungen leer. Er nimmt keinerlei verschreibungs- oder nicht-verschreibungspflichtige Medikamente oder Homöopathika ein und Drogenkonsum wird ebenfalls verneint.
Der Patient ist wach und ansprechbar, fühlt sich aber sichtlich unwohl. Er ist fieberfrei. Der Blutdruck an beiden Armen beträgt 160/102 mmm Hg, der Puls ist regelmäßig mit einer Frequenz von 103/min. Bei der Auskultation des Herzens hört man ein leises Frühdiastolikum über dem 2. ICR rechts parasternal, keine Extratöne und kein Perikardreiben. Die Lungenauskultation ist unauffällig und auch die Untersuchung des Abdomens ergibt keine Auffälligkeiten. Neurologische Defizite sind nicht feststellbar.
Im EKG sieht man den Befund in Abb. 1. Die Laboruntersuchungen ergeben keine Hinweise auf myokardiale Schäden.
Das Rö.-Thoraxbild ist auffällig (Abb. 2).
Was könnte der Symptomatik zugrunde liegen?
Paroxysmale Aortendissektion
Im EKG sieht man ST-Hebungen in zahlreichen Ableitungen (Abb. 3) ohne ST-Senkungen in den gegenüberliegenden Ableitungen. Die PR-Strecke ist in allen Ableitungen gesenkt außer in Abl. aVR und V1. Eigentlich sind solche EKG-Veränderungen typisch für eine Perikarditis.
Obwohl die EKG-Veränderungen für eine unkomplizierte Perikarditis sprechen können sowohl die Symptomatik als auch die EKG-Veränderungen dennoch für eine andere Ursache sprechen:
Im Rö.-Thoraxbild (siehe Abb. 2) sieht man eine Verbreiterung des Mediastinums, das den Arzt zur Durchführung eines Thorax-CT veranlaßte.
Hier (Abb. 4) zeigt sich eine Dissektion der proximalen aszendierenden Aorta.
Eine solche Aortendissektion ist relativ ungewöhnlich, kann aber katastrophale Folgen haben. Ihre Inzidenz beträgt jährlich ca. 5 - 30 Fälle bei 1 Million Menschen.
Eine thorakale Aortendissektion kann einer Perikarditis ähneln. Wenn EKG und Symptomatik auf eine Perikarditis hinweisen liegt der aortale Einruß in der Regel in der aszendierenden Aorta.
Die häufigste Ursache einer solchen Aortendissektion ist die zystische Medianekrose. Der Einriß in der proximalen Aorta führt zu einer langsamen Penetration von Blut in den Herzbeutel, wo es zu einer entzündlichen Perikarditis führt. Die Symptome einer Perikarditis können einer fatalen Aortenruptur mehrere Tage vorangehen.
Die Differenzierung einer „einfachen“ Perikarditis und einer Aortendissektion ist wichtig, weil die therapeutischen Konsequenzen beider Erkrankungen völlig verschieden sind:
Eine thorakale Aortendissektion stellt einen kardiovaskulären Notfall dar. Sie hat eine hohe Morbidität und Mortalität, wenn sie nicht umgehend erkannt und behandelt wird. Unbehandelt sterben 28% der Patienten innerhalb der ersten 24 h, 50% innerhalb von 48 Stunden, 70% innerhalb 1 Woche und 90% innerhalb von 3 Monaten.
Die Todesfälle bei proximaler thorakaler Aortendissektion entstehen durch eine Aortendissektion, eine akute schwere Aortenklappeninsuffizienz oder den Verschluß einer Koronararterie.
Die Perikarditis hingegen wird mit anti-inflammatorischen Medikamenten behandelt, wobei man den weiteren Verkauf engmaschig beobachtet.
Der eingangs beschriebene Patient wurde in Vorbereitung auf eine Operation mit Propranolol und Natrium-Nitroprussid behandelt. Die Aortendissektion wurde operativ mit einer Dacron-Aortenrohrprothese versorgt. Er hat die Operation gut überstanden.
Die Diagnose einer Aortendissektion ist nicht immer einfach und gelingt initial nur bei ca. 40% aller Patienten. Komplizierend ist, daß etwa 1% aller Patienten mit thorakaler Aortendissektion als Komplikation begleitend Koronarverschlüsse bekommen, was zu Myokardinfarkten oder linksventrikulärem (bei betroffener rechter Koronararterie auch rechtsventrikulärem) Pumpversagen führen kann. Dies führt dann, wie in unserem Fall zu EKG-Veränderungen wie bei myokardialer Ischämie oder Myokardinfarkt.
Andere EKG-Veränderungen, die im Zusammenhang mit einer Aortendissektion auftreten können sind Zeichen der linkeventrikulären Hypertrophie, av-Blockierungen oder ventrikulärer Extrasystolie.