Casuistik 4

Vorgeschichte

80 Jahre Patient, Vorstellung beim Kardiologen wegen Leistungsschwäche.

Er habe bislang immer gut mit dem Hund (Dackel) Spazierengehen können. Seit etwa 10 Tagen sei ihm das aber nicht mehr so problemlos wie zuvor möglich. Er habe weder ausgesprochene Luftnot noch andere konkrete Beschwerden, sondern fühle sich vielmehr schneller erschöpft. 3 Etg. Treppe steigen mit altersgemäßer Geschwindigkeit problemlos und ohne Luftnot oder Brustschmerzen möglich.

In der weiteren Vorgeschichte bekannt arterielle Hypertonie und Diabetes mellitus, beide medikamentös gut eingestellt mit Januvia, 2 x 25 mg Metoprolol, Atacand 12.5 und HCT. Dazu nehme er 1 Tbl. ASS. weitere bedeutsame Vorerkrankungen werden nicht angegeben.

Bei der körperlichen Untersuchung normgewichtiger Patient. Lunge auskultatorisch unauffällig. RR 130/85 mm Hg an beiden Armen. Pulsfrequenz 52/min. Über dem 2. ICR rechts parasternal 2/6 lautes Systolikum ohne weiteren Angaben.

Das EKG zeigte sich wie in Abb. 1.

Im Echo waren alle Herzhöhlen normal weit, die Kontraktionen des linken Ventrikels ungestört. Die Mitralsegel waren nicht ganz zart, die Öffnungsbewegungen ungestört. Im Farbdoppler sah man eine leichte Mitralinsuffizienz.

Die Aortenklappe war deutlich verdickt und wirkte verkalkt, die Öffnungsbewegungen erschienen eingeschränkt, ohne daß dies quantifiziert werden konnte. Im cw-Doppler war der aortale Fluß auf ca. 5 m/sec erhöht (Abb. 2), eine Aortenklappeninsuffizienz war im Farbdoppler nicht feststellbar.

Was hat der Patient?

Antwort

Das EKG zeigt einen av-Block 2. Grades mit Bradykardie (48/min) der Kammern.

Aus dem Echo diagnostizierte die Kollegin eine hochgradige Aortenklappenstenose.

Wie ging es weiter?

Weil die Kollegin die Bradykardie infolge des av-Blocks als Ursache der Leistungsschwäche ansah wurde zunächst die Indikation zur Implantation eines DDD-Schrittmachers gestellt, nachfolgend sollte dann eine invasive Untersuchung erfolgen.

Die Schrittmacher-Implantation erfolgte problemlos, der Patient war nach Entlassung aus dem Krankenhaus besser und wie zuvor gut belastbar. Das EKG zeigte einen normfrequenten Sinusrhythmus (86/min) ohne SM-Aktionen (Abb. 3).

4 Wochen nach Implantation des Schrittmachers kam der Patient zur 1. Schrittmacherkontrolle zur Kardiologin. Das Aggregat funktionierte ohne Probleme und die Kardiologin führte zur Kontrolle eine erneute Echokardiographie durch.

Bei ansonsten unverändertem Befund maß sie jetzt eine Flußgeschwindigkeit in der Aortenklappe von ca. 2 m/sec (Abb. 4). In der Annahme, es habe sich hierbei um eine Fehlmessung gehandelt überwies sie den Patient zur Herzkatheteruntersuchung ins Krankenhaus.

Hier wurde eine Koronarographie durchgeführt, die lediglich Wandveränderungen ohne therapiebedürftige Stenosen ergab, eine invasive hämodynamische Untersuchung mit Messung der Drücke in rechtem und einem Vorhof und Ventrikel bzw. die Messung eines Portalen Druckgradienten unterblieb. Der Katheter-Kardiologe nahm vielmehr den Echo-Befund vor der Schrittmacher-Implantation (aortaler Fluß 5 m/sec) zur Grundlage, um eine „hochgradige“ Aortenklappenstenose zu diagnostizieren und meldete den Patienten zum operativen Aortenklappenersatz an.

Die Operation verlief unkompliziert, es wurde eine Aortenklappe-Bioprothese implantiert. Kurz vor der Entlassung erfolgte ein abschließendes Echo in der chirurgischen Klinik. ´

Hierbei fand man „überraschend“ eine hochgradige Mitralinsuffizienz, deretwegen nachfolgend noch eine MitraClip-Behandlung durchgeführt wurde.

Der 80 Jahre alte Patient hat alle Untersuchungen und Behandlungen ohne Probleme und vor allem ohne Komplikationen, aber: Wäre die Operation wirklich notwendig gewesen?

Die retrospektive Beantwortung dieser Frage ist natürlich unfair, aber man kann in diesem Verlauf mehrere Dinge finden, die deutlich suboptimal gelaufen sind:

  1. Weder bei der anfänglichen noch bei der Kontrolluntersuchung nach der Schrittmacher-Implantation ist eine adäquate Auskultation vorgenommen worden. Zu einer solchen fachgerechten kardiologischen Auskultation gehört die Beschreibung der Art des Herzgeräusches. Es ist nicht ausreichend, ein Systolikum oder ein Diastolikum zu beschreiben, sondern es gehört vor allem bei einem angenommenen Aortenvitium dazu, den Charakter des Geräusches (hoch- oder tieffreqent? Spindel- oder bandförmig?) zu beschreiben, sondern auch den Zeitpunkt des Geräuschmaximums (ein frühsystolisches Maximum spricht (bei normal kontraktier Ventrikel) für ein eher leichtgradiges, bei meso- bis spätsystolisches Geräusch für eine eher höhergradige Aortenklappenstenose).

    Frühsystolisches Geräusch einer leichten Aortenklappenstenose:

    Spätsysatolisches Geräusch einer schweren Aortenklappenstenose:

  2. Die mit 2 m/sec deutlich niedrigere aortale Flußgeschwindigkeit bei der 2. Echokardiographie wurde als Fehlmessung interpretiert. Dabei läßt sich diese Diskrepanz durchaus erklären:
  3. Die 1. Messung erfolgte bei einer Herzfrequenz von 48/min, die 2. Echokardiographie bei einer normalen Kammerfrequenz (86/min). Folglich ist das Schlagvolumen bei der 1. deutlich höher als bei 2. Echountersuchung. Da das Schlagvolumen aber in die Berechnung des aoortalen Druckgradienten (die Klappenöffnungsfläche wurde nicht berechnet) eingeht mußte der Druckgradient bei der „bradykarden“ Erstuntersuchung deutlich höher ausfallen als bei der „normfrequenten“ Folgeuntersuchung.

  4. Die bedeutendste Suboptimalität fand allerdings bei der Herzkatheteruntersuchung statt:
  5. Auch die überraschende postoperative Diagnose einer „hochgradigen“ Mitralinsuffizienz mit der daraus abgeleiteten Indikationsstellung zur MitraClip-Behandlung einzig abgeleitet aus einer Echountersuchung (ohne Angabe eines Geräuschbefundes oder Röntgenbildes) erscheint fragwürdig. Bei dieser Gelegenheit: Eine interventionell oder invasiv behandlungsbedürftige Mitralinsuffizienz ist auskultatorisch niemals stumm!).

Wenn Sie aus dieser Kasuistik etwas lernen möchten dann folgendes: