Casuistik 7

Hintergrund

Ein 65 Jahre alter Mann wird wegen zunehmender Verwirrtheit ins Krankenhaus eingeliefert. Anamnestisch ist ein Bronchialkarzinom bekannt. Er erbricht während der Aufnahme seiner Personalien. In der Folge beklagt er plötzlich heftige Bauchschmerzen, er wird zunehmend letharghisch und trübt ein.

Bei der körperlichen Untersuchung ist der arterielle Blutdruck 123/87 mm Hg, die Herzfrequenz 114/min und seine Temperatur 37°C. Pulsoxymetrisch beträgt die arterielle Sauerstoffsättigung 97% unter Raumluftatmung.

Seine Schleimhäute sind trocken und sein Hautturgor vermindert, es bleiben Hautfalten stehen.

Auf Zuruf öffnet der Patient die Augen und antwortet auf Fragen, ist aber allgemein desorientiert. Er kann einfachen Aufforderungen folgen, führt die Aufforderungen aber nur verlangsamt aus. Bei der neurologischen Untersuchung finden sich keine fokalen Ausfälle. Der Blutzucker aus der Fingerbeere beträgt 114 mg% und es wurde ein EKG durchgeführt.

Abb. 1: Aufnahme-EKG

Parameter des Aufnahme-EKG:

PQ 140 msec
QRS 101 msec
QT 201 msec
QTc 246 msec

Frage: Wie lautet die Diagnose?

Antwort

Es handelt sich um einen Patienten mit Wesensveränderungen, schwerer Dehydratation, Erbrechen und Bauchschmerzen bei vorliegender maligner Erkrankung. Die maligne Grunderkrankung läßt den Verdacht auf eine Hypercalcämie als Folge osteoklastischer Metastasen oder eines paraneoplastischen Syndroms aufkommen.

Die Laboruntersuchung bestätigte diesen Verdacht: Ca 14.8 mg%, K 5.8 mmol/l und Kreatinin 2.4 mg%.

Hypercalcämien sind relativ häufig.

In mehr als 90% der Fälle sind sie Folge

Im EKG ist die Verkürzung der QT-Zeit der führende Befund; bei der Hypocalcämie ist die QT-Zeit verlängert. Bei der Hypercalcämie kommt es zu einem gesteigerten Calcium-Einstrom in die Zellen. Diese erhöhte intracelluläre Calcium-Konzentration verkürzt die Plateauphase des Aktionspotentials und damit die QT-Zeit.

Abb. 2: Phasen des Aktionspotentials

Die Hypercalcämie kann zu Erregungsleitungsstörungen des Herzens führen, wobei es sich hierbei meistens um Bradyarrhythmien handelt. Lebensbedrohliche Arrhythmien treten bei isolierter Hypercalcämie nur selten auf, solange nicht gleichzeitig eine Hyperkaliämie vorliegt. Eine solche Hyperkaliämie kann dann renal bedingt sein, denn die Nieren verlieren bei erhöhten Calciumspiegeln im Serum ihre Fähigkeit zur Urinkonzentration und hieraus resultiert eine Dehydratation mit konsekutivem prärenalem Nierenversagen.

Hinzu kommt, daß aufgrund der Calciumablagerungen in den Tubuli Mikroverletzungen der Nieren auftreten können, die dann ihrerseits wiederum zur Niereninsuffizienz führen können.

Patienten mit Hypercalcämie (>14 - 16 mg%) leiden typischerweise unter körperlicher Schwäche, Lethargie und Verwirrtheit. Bei Calciumspiegeln >15 mg% kommen Stupor und Koma hinzukommen.

Die klinischen Zeichen und Symptome der Hypercalcämie kann man mit „Steine, Knochen, Jammern und Klagen“ zsammenfassen. Sie stehen für

Eine Hypercalcämie sollte bei jedem Patienten mit Knochenmetastasen bedacht werden, vor allem, wenn der Primärtumor Lunge, Mamma oder Nieren ist und auch bei Patienten mit einer Kombination medizinischer Probleme, wie z.B. Nierensteine, Pankreatitis und Ulcus-Krankheit sollte man daran denken.

Die Behandlung sollte sich stets an den klinischen Symptomen und nicht nur an der Höhe des Calciumspiegels im Blut orientieren, wobei eine Behandlung üblicherweise bei Calciumspiegeln von 14 mg% eingeleitet wird.

Die Behandlung besteht primär in der intravenösen Gabe von 250 - 500 ml NaCl/h und der intravenösen Gabe von Biphosphat, die die Aktivität der Osteoklasten und damit die Calcium-Mobilisierung vermindern bzw. verhindern soll.

Ein Diuretikum kann hinzu gegeben werden, um die Calciumausscheidung zu steigern, solange der Patient euvolämisch und ausreichend hydriert ist.Dabei sollten Thiazide wegen ihres Calcium-sparenden Effektes vermieden und bevorzugt Schleifendiuretika gegeben werden.

Calcitonin, das die Resorption von Knochen vermindert und die Calciumausscheidung steigert kann ebenfalls hinzu gegeben werden, obwohl seine Wirkung nur kurzzeitig ist.

Denosumab ist dabei eine Substanz, die als RANKL-Inhibitor wirkt. RANKL ist ein Protein, das Vorläuferzellen der Osteoklasten in vollwertige Osteoklasten umwandelt. Die Blockade des RANKL wirkt daher der Bildung aktiver Osteoklasten entgegen, was die Intensität des Knochenabbaus und damit die Mobilisierung von Calcium vermindert. In den USA ist auch Galliumnitrat (Ganite®) zur Behandlung maligner Hypercalcämien zugelassen, es muß aber über 5 Tage intravenös infundiert werden.

Steroide haben in der Behandlung der Hypercalcämie eigentlich keinen Stellenwert, können aber in einigen Fällen bei Überdosierungen von Vitamin D und bei speziellen Malignomen (z.B. Sarkoid, multiples Myelom, einige Lymphome) gegeben werden.

In Fällen,

kann auch eine Dialyse eingesetzt werden.

Bei den Überlegungen zur Behandlung muß man vor allem bei Tumorpatienten daran denken, daß die Hypercalcämie ein signum mali ominis ist und daß die Prognose dieser Patienten aufgrund ihres malignen Grundleidens ohnehin stark eingeschränkt ist.