Es stellt sich ein 60 Jahre alter Mann mit unbehandelter arterieller Hypertonie (bei Aufnahme: 192/105 mm Hg) vor, weil er ganz akut einen heftigen Schmerz in der Brust mit Ausstrahlung in den Rücken und die Spitze der linken Scapula verspürt hatte. Der Schmerz trat plötzlich und ohne erkennbare Ursache auf und er war so, als ob etwas in ihm zerrissen war; er war nicht atemabhängig. Aufgrund der heftigen Intensität des Schmerzes hatte er sich nicht mehr bewegt und sofort den Notarzt verständigt, der ihn in die Notaufnahme brachte.
Er verspürte keine Palpitationen, keine Luftnot und gab in der Anamnese weder Hämoptysen noch periphere Ödeme an.
Noch in der Ambulanz klangen die Schmerzen langsam wieder vollständig ab, sodaß er mit der Empfehlung entlassen wurde, sich beim Hausarzt vorzustellen.
Vor etwa 5 Wochen hatte er sich schon einmal wegen Brustschmerzen in der Notaufnahme vorgestellt. Die Beschwerden waren damals allerdings bei weitem nicht so intensiv und lang anhaltend. Er wurde seinerzeit wieder entlassen, nachdem das EKG normal war, das Troponin nicht erhöht und das Röntgen-Thorax ebenfalls ohne Auffälligkeiten war. Seinerzeit war eine leichte Niereninsuffizienz mit einer GFR von 57 ml/min gemessen worden.
5 Tage später suchte der Patienten seinen Hausarzt auf, weil seine Beschwerden anhielten. Sie waren nicht mehr so heftig wie zuvor und traten 1 - 2mal täglich unabhängig von körperlicher Belastung oder Ruhe für die Dauer von etwa 5 min auf.
Der Hausarzt sah die Beschwerden im Zusammenhang mit einer schon seit langem bekannten Gastritis und verordnete Omeprazol.
3 Tage später suchte er seinen Hausarzt erneut wegen morgendliche Luftnot auf. Der Patient schilderte die Beschwerden so ähnlich wie bei einem grippalen Infekt mit Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Schwindel, Husten oder Fieber hatte er allerdings nicht.
Die Auskultation von Herz und Lungen ergab keine Auffälligkeiten.
Der vom Hausarzt durchgeführte Troponin-Test war negativ, der Test auf d-Dimere jedoch positiv.
Er wies den Patienten nun unter dem Verdacht auf das Vorliegen einer Lungenarterienembolie erneut ins Krankenhaus ein.
Welche Untersuchungen wurden in der Notfallambulanz neben einer erneuten Anamneseerhebung und einer körperlichen Untersuchung durchgeführt?
EKG und transthorakales Echo (TTE).
Körperliche Untersuchung und EKG waren ohne Auffälligkeiten und auch ein sofort durchgeführtes transthorakales Echo war unauffällig.
Aus der Notfallambulanz heraus wurde ein Thorax-CT zum Nachweis bzw. Ausschluß einer Lungenarterienembolie veranlaßt.
Das CT unter Kontrastmittelgabe zeigte keiner Lungenarterienembolie, jedoch ein Aneurysma dissecans der Aorta, das distal des Abgangs der linken A. subclavia begann und sich über die gesamte Aorta descendens bis in beide Aa. iliacae communis fortsetzte (Abb. 1). Es handelte sich somit um eine Typ B-Dissektion.
Es gab bereits zu diesem Zeitpunkt im CT den Hinweis darauf, daß die rechte Niere gegenüber der linken vermindert perfundiert war (Abb. 2).
Der Patient wurde auf die Überwachungsstation verlegt und intravenöse mit Labetalol und oralem Doxazosin behandelt, um Blutdruck und Herzfrequenz zu senken. Dies blieb jedoch erfolglos, indem der Blutdruck mit 166/80 mm Hg erhöht blieb. Die Nierenfunktion verschlechterte sich im Verlauf der nächsten 2 Tage auf eine GFR von 33 ml/min, was als Ausdruck einer rechtsseitigen renalen Perfusionsstörung im Zusammenhang mit der Aortendissektion gesehen wurde.
Weil man eine progrediente Nierenfunktionsstörung mit Dialysebedürftigkeit befürchtete wurde die Indikation zum endovaskulären Stenting gestellt. Der Stent wurde in der beginnenden thorakalen Aorta descendens in den Bereich des Beginns der Dissektion plaziert (Abb. 3).
Der Eingriff verlief ohne Komplikationen, jedoch kam es am Folgetag zum Auftreten von Fieber ohne erkennbare Ursache, das etwa 3 Tage andauerte.
Er erholte sich im weiteren Verlauf aber gut und schnell und die Nierenfunktion verbesserte sich (GFR 51 ml/min bei Entlassung). Zur antihypertensiven Therapie wurden 5 mg Bisoprolol, 10 mg Amlodipin, 2.5 mg Ramipril und 4 mg Doxazosin tgl. empfohlen. Zudem wurde für 6 Wochen nach Entlassung ein Kontroll-CT organisiert.
Die Feststellung eines akuten Aortensyndroms stellt eine diagnostische Herausforderung dar, weil es sich oft mit unspezifischen Symptomen darstellt, die zudem sehr variabel sind. Daher wird es bei der Eingangsuntersuchung oft übersehen oder mißinterpretiert.
Der plötzliche Beginn eines heftigen Schmerzes ist ein häufiges und oft das einzige Symptom, daher sollte bei Patienten mit dieser Symptomatik immer nach einem akuten Aortensyndrom gesucht werden.
Der Schmerz wird typischerweise als ziehend oder scharf beschrieben, er kann in den Rücken, die Schultern oder den Bauchraum ausstrahlen. Wenn sich die Dissektion ausdehnt kann es auch sein, daß sich der Schmerz ebenfalls ausdehnt und daß er „wandert“.
Andere Befunde und Symptome, die man oft sieht sind arterielle Hypertonie, Pulsdefizite und Synkopen.
Weniger häufig stellen sich die Patienten mit den Zeichen der Herzinsuffizienz, mit neurologischen Defiziten (z.B. Lähmungen der Extremitäten) oder mit Zeichen der Minderperfusion eines Organs vor, z.B. Niereninsuffizienz oder sogar Anurie infolge einer Beteiligung der Nierenarterien.
4 - 5% aller Patienten geben keinerlei Schmerzen an, sondern stellen sich mit anderen Symptomen (z.B. einer Synkope) vor.
Die häufigste Differentialdiagnose eines akuten Aortensyndrom ist das akute Koronarsyndrom mit Angina pectoris, NSTEMI oder STEMI. Die Beschwerden selber können sehr ähnlich sein, jedoch beginnen die Schmerzen beim akuten Koronarsyndrom nicht so abrupt wie beim Aortensyndrom und sie nehmen dann im Laufe der Zeit weiter zu. Zudem werden die Beschwerden beim Koronarsyndrom oft mehr dumpf und beklemmend beschrieben.
Akutes Koronar- und Aortensyndrom können auch gemeinsam vorkommen, nämlich dann, wenn eine Aortendissektion auch den Abgang der Koronararterien erfaßt hat.
Es ist außerordentlich wichtig, beide Syndrom zu unterscheiden, denn die Behandlungen sind völlig unterschiedlich.
Andere Differentialdiagnosen des akuten Aortensyndroms sind
Diese Differentialdiagnose hängt davon ab, mit welcher Symptomatik sich der Patient vorstellt.
Das EKG ist die wichtigste Sofort-Untersuchung zur Differenzierung von akutem Aorten- und Koronarsyndrom.
Bei Patienten, bei denen aufgrund ihrer Symptomatik der Verdacht auf einen Myokardinfarkt besteht, die aber ein unauffälliges EKG haben sollte immer an ein akutes Aortensyndrom gedacht werden. Dabei muß man dennoch daran denken, daß das EKG bei Patienten mit Aortensyndrom häufig nicht normal ist, ohne daß die Veränderungen nicht spezifisch für ein Koronarsyndrom sind.
Laborwerte wie d-Dimere, CK oder C-reaktives Protein können bei beiden Erkrankungen erhöht sein, wobei es mit Hilfe der d-Dimere allerdings möglich ist, ein akutes Aortensyndrom auszuschließen, denn diese Untersuchung ist sehr sensitiv und hat einen hohen negativen prädiktiven Wert.
Die wichtigste Untersuchung zur Feststellung eines akuten Aortensyndroms ist das CT. Man kann hiermit nicht nur die Diagnose bestätigen, sondern auch den Ort des Einrisses in der Intima, die Ausdehnung der Dissektion, evtl. Gefäßverschlüsse und Minderperfusionen verschiedener Organe erkennen.
In einigen Fällen ist es notwendig, mehr als 1 bildgebendes Untersuchungsverfahren anzuwenden. Ein Röntgen-Thorax zeigt zwar in 60 - 90% aller Fälle einen auffälligen Befund an, kann aber zu einem frühen Zeitpunkt der Erkrankung noch normal sein.
Das transthorakale (TTE) und transösophageale Echo (TEE) ermöglichen die schnelle Diagnose kardialer Komplikationen und können eine Dissektion oder ein penetrierendes Aortenulcus in der aszendierenden, deszendierenden thorakalen Aorta und dem Aortenbogen sichtbar machen.
Dabei ist dem TEE dem TTE gegenüber der Vorzug zu geben, weil die diagnostischen Möglichkeiten des TTE für die Aorta eingeschränkt sind. Oft kombiniert man beide Untersuchungen aber auch, weil sie gemeinsam eine Sensitivität von 99% und eine Spezifität von 89% für die Feststellung eines Aortensyndroms haben. Dabei ist das TEE aber ein invasives Verfahren und kann bei Erkrankungen des Ösophagus zudem nur eingeschränkt einsetzbar sein.
Das Untersuchungsverfahren der 1. Wahl ist das Röntgen-CT. Es ist im Krankenhaus schnell verfügbar und hat eine mit 95% hohe Sensitivität und mit 85 - 100% hohe Spezifität. Seine Einschränkung besteht in der Notwendigkeit zur Gabe von Kontrastmittel, das bei Patienten mit Niereninsuffizienz infolge einer Aortendissektion kontraindiziert sein kann.
Die Stelle des aortalen Einrisses einer Dissektion kann man mit einem Röntgen-CT nicht so gut darstellen wie mit einer MR-Tomographie (MRI). Das MRI hat eine mit jeweils ca. 100% sehr hohe Sensitivität und Spezifität. Zudem ist die Gabe von Kontrastmittel nicht zwingend erforderlich und es arbeitet ohne den Einsatz ionisierender Strahlen. eine Untersuchung mittels MRI ist aber nicht ebenso schnell verfügbar wie ein CT oder ein TTE und kann bei Patienten mit metallhaltigen Implantaten zudem kontraindiziert sein.
Die 3 Ziele bei der initialen Vorstellung eines Patienten bestehen in der Verminderung der Scherkräfte und der mechanischen Belastung der Aortenwand durch die Reduktion der linksventrikulären Kontraktionen, der Senkung des Blutdrucks und der Aufrechterhaltung der Perfusion aller Organe. Dies wird erreicht durch Gabe von ß-Blockern (z.B. Metoprolol, Esmolol, Propranolol oder Labetalol) mit dem therapeutischen Ziel für die Herzfrequenz von <60/min und für den systolischen Blutdruck von 100 - 120 mm Hg.
Verträgt ein Patienten keinen ß-Blocker können alternativ auch Calciumantagonisten und/oder Vasodilatoren eingesetzt werden. Auch die Schmerzbekämpfung mittels Morphin ist ein wichtiger Aspekt, der zur Einstellung von Blutdruck und Herzfrequenz beiträgt.
Eine Typ A-Dissektion stellt immer die Indikation zur Operation dar, bei der man die Aortenwurzel ersetzt, denn diese Art der Dissektion birgt immer die Gefahr einer Mitbeteiligung der Koronarabgänge oder das Risiko einer Herzbeuteltamponade.
Die unkomplizierte Typ B-Dissektion, also diejenige ohne Organischämie, sollte am besten medikamentös in Gestalt einer strengen Blutdruckeinstellung erfolgen. Dabei ist es wichtig, den weiteren Verlauf zu beobachten, um evtl. Komplikationen schnell zu erfassen.
Bei einer komplizierten Typ B-Dissektion, bei denen es zu viszeralen oder peripheren Durchblutungsstörungen kommt besteht die therapeutische Alternative in der Implantation eines Stents oder einer Operation. Eine Operation sollte nur dann erwogen werden, wenn sie zeitnahe, ohne Verzögerung und in einem spezialisierten Krankenhaus mit diesbezüglich großer Erfahrung durchgeführt werden könnte.
Das aortale Stenting ist aber eine gute Alternative, wenn es die anatomischen Verhältnisse zulassen und wenn auch sie in einem diesbezüglich erfahrenen Krankenhaus durchgeführt wird. In diesen Fällen sind die 5-Jahres-Überlebensrate und die Verzögerung des Fortschreitens der Erkrankung bei den Stent-Patienten deutlich höher als bei denjenigen, die „lediglich“ mit einer optimalen strengen medikamentösen Therapie behandelt wurden.
Der Patient wurde mittels Stenting behandelt. Das postoperative CT zeigte ein gutes Behandlungsergebnis. Das richtige Lumen wurde wiederhergestellt, das falsche Lumen war teilweise thrombosiert. Das Dissekat hatte sich nicht ausgedehnt und die Aorta proximal des Einrisses nicht erweitert. Es gab keine Hinweise auf eine Durchblutungsstörung der rechten Niere mehr, die GFR hatte sich auf 67 ml/min erhöht.
Es wurden Verlaufs-CTs 7 Tage nach Eintreten der Dissektion, bei Entlassung, 3, 6 und 12 Monate nach Entlassung und nachfolgend alle 12 Monate empfohlen.
Bei den Verlaufskontrollen muß auf eine evtl. Erweiterung der Aorta, die Bildung eines Aortenaneurysma oder auf Stent-Komplikationen wie z.B. Endoleaks geachtet werden.
Es ist wichtig zu wissen, daß ein akutes Aortensyndrom eine potentiell tödliche Erkrankung darstellt. Die Sterblichkeit eines akuten Aortensyndroms beträgt ca. 23%, davon 12% bei Patienten mit akuter Typ B-Dissektion.
Infolge der Heterogenität der klinischen Symptomatik wird das Syndrom häufig (38%) falsch oder garnicht diagnostiziert, wobei das akute Koronarsyndrom am häufigsten mit dem Aortensyndrom. verwechselt wird. Diese Fehldeutung verzögert nicht nur Diagnose und Therapie, sondern kann auch zu fatalen therapeutischen Entscheidungen führen. Patienten mit akutem schmerzfreien Aortensyndrom habe eine überaus schlechte Prognose, wahrscheinlich infolge der verzögerten Diagnosestellung.
Der hier vorgestellte Patient stellte sich mit einigen klassischen Symptomen vor, wobei das Aortensyndrom dennoch zunächst als mögliches Koronarsyndrom angesehen wurde. Als dies bei unspezifischem EKG, nicht erhöhtem Troponin und unauffälligem Röntgen-Thorax ausgeschlossen wurde hätte zeitnahe ein Röntgen-CT durchgeführt werden sollen, das die Aortenerkrankung sofort entdeckt hätte.
Eine anamnestisch bekannte Niereninsuffizienz mit einer initialen GFR von 57 ml/min wäre dabei keine Kontraindikation für die Gabe von Kontrastmittel gewesen.
Der geschilderte Fall soll die Aufmerksamkeit darauf lenken, daß bei Patienten mit Brustschmerzen ohne weitere Hinweise auf ein akutes Koronarsyndrom, d.h. mit unauffälligem oder geringen unspezifischen EKG-Veränderungen und normalem Troponin immer an das Vorliegen eines akuten Aortensyndroms gedacht und eine entsprechende frühzeitige Diagnostik veranlaßt werden muß.
Zur Ergänzung dieser Casuistik könnten Sie auch den Beitrag über das akute Aortensyndrom lesen, daß Sie finden, wenn Sie hier klicken.